DIAGNOSE & THERAPIE
Die Wirkung der Medikamente
Rein biologisch betrachtet, tritt bei der Depression eine Störung des Stoffwechsels im Gehirn auf. Die Nervenzellen des Gehirns kommunizieren untereinander über verschiedene Substanzen, die Signale von einer Zelle zur anderen übertragen. Diese Signalstoffe (Neurotransmitter) stehen bei Gesunden in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Bei Menschen, die an einer Depression leiden, ist dieses Gleichgewicht gestört, sodass manche Substanzen in geringerer Konzentration an den Verbindungsstellen der Nerven (Synapsen) vorliegen. Insbesondere die Spiegel der Signalstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin sind bei ihnen im Vergleich zu Gesunden niedriger.
Der Mangel an Neurotransmittern im Bereich der Synapsen kann durch Medikamente zur Behandlung der Depression (Antidepressiva) ausgeglichen werden. Dieser Vorgang benötigt allerdings etwas Zeit, weshalb das Gleichgewicht zwischen den Überträgersubstanzen erst einige Tage bis Wochen nach Therapiebeginn wiederhergestellt ist – und somit auch die depressiven Symptome abklingen. Mit den der Medizin mittlerweile zur Verfügung stehenden modernen Medikamenten lassen sich Depressionen also meist gut behandeln.
Natürlich kann die medikamentöse Therapie das Leben einer:s Betroffenen nicht von Grund auf ändern, soziale Konflikte oder andere Probleme lösen. Vielfach ist die medikamentöse Therapie allerdings die Voraussetzung dafür, dass die Patienten ihre Probleme überhaupt wieder in Angriff nehmen können. Denn erst wenn Antriebs-, Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit nachlassen, können für zuvor unüberwindlich erscheinende Probleme wieder Lösungen gefunden werden.
Welche Antidepressiva kommen zum Einsatz?
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Multimodale Antidepressiva: Das modernste und bislang einzige in Europa zugelassene multimodale Antidepressivum wirkt auf verschiedene Rezeptoren für Serotonin im Gehirn. Es blockiert die Wirkung bestimmter Rezeptoren und stimuliert wiederum andere Rezeptoren. Darüber hinaus blockiert es die Wirkung des Serotonin-Transporters, der für die Beseitigung von Serotonin an dessen Wirkorten im Gehirn zuständig ist, und erhöht dadurch die Aktivität des Serotonins. Durch die unterschiedlichen Wirkmechanismen kann ein günstiges Gleichgewicht aus Wirkung und Verträglichkeit erzielt werden. So verbessert dieses Antidepressivum zum Beispiel auch die Konzentration und Merkfähigkeit, die im Rahmen einer Depression eingeschränkt sein können, und hat zugleich deutlich weniger Nebenwirkungen auf die Sexualität als andere Antidepressiva. Wirkstoff: Vortioxetin.
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5HT2C-Antagonisten stimulieren die MT1- und MT2-Rezeptoren, die normalerweise durch das „Schlafhormon“ Melatonin aktiviert werden. Außerdem werden die 5HT2C-Rezeptoren blockiert, die normalerweise durch den Neurotransmitter 5-Hydroxytryptamin (auch als Serotonin bezeichnet) aktiviert werden. Sie wirken stimmungssteigernd und normalisieren das Schlafmuster. Wirkstoff: Agomelatin
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Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (englisch Selective Serotonin-Reuptake-Inhibitors; abgekürzt SSRI) blockieren gezielt das Transportmolekül, das den Überträgerstoff Serotonin wieder in seine Speicher zurückbefördert. Auf die Wiederaufnahme von anderen Neurotransmittern haben Präparate aus dieser Wirkstoffklasse einen sehr geringen bis keinen Einfluss. SSRI sind gut verträglich und finden daher breite Anwendung. Sie eignen sich vor allem zur Behandlung von leichten und mittelgradigen depressiven Episoden sowie von Angst- und Zwangsstörungen. Wirkstoffe: Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
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Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (englisch Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitors; abgekürzt SNRI) hemmen gezielt den Rücktransport von Noradrenalin und Serotonin. Sie sind sowohl stimmungsaufhellend als auch antriebssteigernd. Wirkstoffe: Duloxetin, Milnacipran, Venlafaxin
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Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer (englisch Noradrenalin-Dopamine-Reuptake-Inhibitors) hemmen den Rücktransport von Noradrenalin und Dopamin in die Neuronen. Sie werden bei schweren depressiven Episoden eingesetzt. Wirkstoff: Bupropion
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Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (englisch Noradrenalin-Reuptake-Inhibitors; abgekürzt NARI) hemmen gezielt den Rücktransport des Botenstoffes Noradrenalin in seine Speicher. Angewendet werden sie bei leichten und mittelgradigen Depressionen, vor allem wenn die Antriebslosigkeit im Vordergrund steht. Wirkstoff: Reboxetin
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Die trizyklischen und tetrazyklischen Antidepressiva sind die älteren Medikamente zur Behandlung von Depressionen. Ihr Name leitet sich von ihrer chemischen Struktur ab. Die antidepressive Wirkung dieser Präparate beruht darauf, dass sie die Wiederaufnahme von Serotonin und/oder Noradrenalin hemmen – sie beeinflussen aber auch andere Neurotransmitter. Trizyklika und Tetrazyklika haben folglich eine sehr breite Wirkungsweise, allerdings auch viele unerwünschte Wirkungen. Ihre Anwendung ist in den letzten Jahren aufgrund der vielfachen Nebenwirkungen stark zurückgegangen.
Weitere Antidepressiva, die das Serotonin- und/oder Noradrenalin-System beeinflussen, sind das Noradrenalin-Serotonin-Selektive Antidepressivum (NaSSA) Mirtazapin, der Glutamat-Modulator (GM) Tianeptin sowie der Serotonin-Antagonist und Wiederaufnahme-Hemmer (SARI) Trazodon.
Zudem ist bei bestimmten Formen der Depression auch die Gabe anderer Psychopharmaka sinnvoll: Bei schweren Verläufen, insbesondere wenn depressive Episoden wiederholt auftreten, sowie bei manisch-depressiven Erkrankungen (Bipolare Störung) werden langfristig Medikamente zur Verhinderung von Rückfällen (Rezidiv-Prophylaxe) verabreicht. Schon lange kommen hierfür Lithium-Präparate zum Einsatz, in letzter Zeit auch verschiedene Arzneimittel zur Behandlung der Epilepsie (Antiepileptika) wie Carbamazepin oder Valproinsäure.
Wie lange müssen Antidepressiva eingenommen werden?
Bis sich eine bemerkbare stimmungsaufhellende Wirkung von Antidepressiva einstellt, dauert es – je nach Wirkstoffgruppe – im Durchschnitt zwischen acht Tagen und drei Wochen. Stellt sich kein Effekt ein oder treten starke Nebenwirkungen auf, wird der Arzt die Dosis anpassen bzw. auf ein Antidepressivum mit einem anderen Wirkmechanismus zurückgreifen. Nach der erfolgreichen Behandlung einer ersten depressiven Episode sollten die Medikamente nach Abklingen der Symptome noch ein halbes Jahr lang eingenommen werden. Dann kann die Therapie langsam ausgeschlichen werden. Bei schweren und/oder wiederkehrenden Episoden kann allerdings eine jahrelange Behandlung vonnöten sein. Es ist wichtig, dass Betroffene ihrer:m Ärzt:in vertrauen und die verordneten Arzneimittel regelmäßig und in der richtigen Dosierung einnehmen.
Viele Behandlungen scheitern, weil der von Ärzt:innen vorgeschlagene Therapieplan nicht eingehalten wird. Einerseits weil manche Patient:innen die Einnahme von Antidepressiva von Beginn an ablehnen, andererseits weil viele Patient:innen zu Beginn einer Behandlung noch keine Besserung, dafür aber Nebenwirkungen bemerken und an der Wirksamkeit des Medikaments zweifeln; oder aber gerade weil sich die depressive Symptomatik nach einiger Zeit gebessert hat und die Einnahme der Tabletten als nicht mehr notwendig erachtet wird. Durch ein zu frühes Absetzen der Medikamente besteht aber erhöhte Gefahr für ein Wiederauftreten der Erkrankung. Setzen Sie daher Ihr Antidepressivum nie ohne Rücksprache mit Ihrer:m Ärzt:in ab!
Ärzt:in und Patient:in sollten in einem offenen Gespräch alle anstehenden Fragen klären – insbesondere zur voraussichtlichen Behandlungsdauer sowie zu Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen der verordneten Medikamente.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Wie bei anderen Medikamenten, so können auch bei Antidepressiva Nebenwirkungen auftreten. Diese machen sich meist zu Beginn der Behandlung bemerkbar, zu einem Zeitpunkt also, an dem die positive, antidepressive Wirkung noch nicht eingetreten ist: Ältere Medikamente, wie trizyklische Antidepressiva, verursachen beispielsweise oftmals Mundtrockenheit oder können Kreislaufprobleme hervorrufen. Die häufig verschriebenen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind im Vergleich dazu nebenwirkungsärmer.
Bei diesen steht vor allem Übelkeit am Anfang der Behandlung als vorübergehende Nebenwirkung im Vordergrund. Im Laufe der weiteren Behandlung verschwinden diese anfänglichen Nebenwirkungen meist wieder. Es kann auch sein, dass während der Behandlung mit Antidepressiva das sexuelle Begehren bzw. die sexuelle Erregbarkeit abnimmt. Weiters kann es zum Auftreten von sogenannten funktionellen Sexualstörungen kommen, wie z. B. Erektionsstörungen, verminderte Scheidenfeuchtigkeit, Schmerzen beim Verkehr, Orgasmusstörungen, verzögerter Samenerguss und verminderte Empfindlichkeit von Penis, Vagina oder Klitoris.
Sollten Sie eines dieser Probleme bei sich bemerken, sprechen Sie unbedingt mit Ihrer:m behandelnden Ärzt:in darüber! Sie bzw. er wird Sie beraten und gegebenenfalls auf ein Medikament umstellen, das Sie besser vertragen. Der Themenkreis Depression und Sexualität ist sehr komplex. Lesen Sie mehr dazu unter: Depression und Sexualität
Antidepressiva sind wirksam
Antidepressiva gehören zu den Medikamenten, die in der Öffentlichkeit nicht den besten Ruf genießen. Viele Patient:innen befürchten etwa, dass sie abhängig machen oder die Persönlichkeit verändern. Derartige Ängste sind jedoch vollkommen unbegründet.
Es gibt Medikamente, die bei längerer Einnahme abhängig machen, wie Benzodiazepine. Im Gegensatz dazu machen Antidepressiva nicht abhängig. Sie verändern auch nicht die Persönlichkeit – im Gegenteil, Betroffene fühlen sich oftmals durch die antidepressive Wirkung der Medikation wieder wie „sie selbst“, da sie nicht mehr unter den stark belastenden Krankheitsanzeichen leiden, die ihr Leben und ihren Alltag oftmals stark einschränken.
Viele Patienten sind davon überzeugt, dass ihre Depression auf Umweltfaktoren oder psychischen Problemen beruht, etwa in der Partnerschaft oder im Beruf, und können daher schwer nachvollziehen, warum Medikamente hier helfen können. Es sollte aber bedacht werden, dass viele Schwierigkeiten, die zum Leben gehören, erst durch eine Depression zu scheinbar unüberwindlicher Größe anwachsen.
Wenn durch die Medikamente die depressive Erkrankung abklingt, berichten viele Patient:innen, dass ihre Probleme zwar noch vorhanden sind, sie aber als Teil des normalen Lebens betrachtet werden und nicht länger als unüberwindbar erscheinen. Vielfach sind Antidepressiva die Voraussetzung dafür, dass Probleme überhaupt wieder angepackt werden können.